"Youth Exchange - Gender in Trouble" Diese fünf Worte und vielleicht noch ein Blick auf die Wetterkarte von Bologna (Italien) für die kommende Woche waren unsere Hinweise darauf, was wir für die folgenden acht Tage in unsere Koffer packen sollten. Fünf Worte, die in sich schon eine Aussage und viele Fragen vereinten: Was heißt "eine Frau sein"? Was bedeutet schwul oder lesbisch sein in Italien und Spanien? Wie erleben die Menschen dort ihre Geschlechterrollen im Alltag? Wie ist die rechtliche Lage? Ist das Leben als Mitglied der LGBTQI*-Gemeinde in den beiden Mittelmeerstaaten vergleichbar mit dem Leben, wie wir es aus Berlin kennen? Und was ist nun überhaupt dieses "gender", von dem in letzter Zeit immerzu gesprochen wird? Und über allem schwebt die Frage: Muss das alles so sein?
Im Juni 2013 sind wir zu acht für eine Woche nach Bologna geflogen und haben uns dort mit ebenfalls jeweils acht Jugendlichen aus Spanien und Italien über genau solche Fragen ausgetauscht. Schnell wurde uns klar, dass wir neben unseren Sonnenbrillen und Sommerklamotten auch eine ganze Menge an Ideen, Konzepten und Gedanken in unseren Koffern aus Berlin mitgebracht hatten, die, teils noch unfertig, jetzt einer genauen Untersuchung unterzogen wurden. Und so brachte jede Antwort wieder viele neue Fragen mit sich. Am spannendsten war wohl, wie unterschiedlich die Erwartungen an das Projekt bei allen Beteiligten waren. Ganz unerwartet für uns lag der Fokus für viele Teilnehmende aus den anderen beiden Ländern viel stärker auf dem Gegensatz von Mann und Frau und weniger auf Themen wie Transsexualität, Intersexualität oder anderen Themen, die wir erwartet hätten. Also beschäftigten wir uns in zahlreichen Workshops, die oft auch von Teilnehmern selbst gestaltet wurden, mit der Rolle der Frau, mit Stereotypen und der Unterdrückung der Geschlechter oder auch mit der rechtlichen Lage in unseren drei Ländern. Trotz aller Sprachbarrieren tauschten wir in Rollenspielen, auf Plakaten oder in Plenumsdiskussionen viele interessante Gedanken und Ideen aus, lernten andere Perspektiven kennen und brachten unsere eigenen mit ein.
Auch außerhalb der Gemäuer von Arcigay Il Cassero haben wir uns auf die Spurensuche nach Antworten begeben. Dabei haben wir uns nicht nur ein Bild von der Geschichte der LGBT-Gemeinde in Bologna gemacht, sondern uns mit vollem Körpereinsatz die Lage unserer Community auf dem Zeitstrahl der schwulen Rechte klar gemacht.
Natürlich raucht bei solchen Themen schnell der Kopf! Doch glücklicherweise hat Bologna viel zu bieten, um überarbeitete Gehirne auf andere Gedanken zu bringen. Am Tage wie in der Nacht haben diese schöne Stadt bei zahlreichen Spaziergängen kennen lernen dürfen, bei denen wir auch gelegentlich in einer richtig echten italienischen Pizzeria eine Mittagspause eingelegt haben. Den Abschluss bildete dann die Par Tòt Parata, auf der wir für die Rechte der LGBT-Gemeinde zwischen Tänzern, Künstlern und vielen fröhlichen Menschen mit viel lauter Musik und guter Laune einmal quer durch Bologna mitgelaufen sind.
Eines steht fest: Von diesem Austausch sind nicht dieselben acht jungen Berliner nach Hause zurückgekehrt, die am ersten Tag noch ohne ihre Koffer in Bologna angekommen sind. Projekte dieser Art verändern, stoßen Festgefahrenes um und werfen viel mehr Fragen auf, als sie beantworten. Und genau aus diesem Grund freue ich mich jetzt schon auf den nächsten Austausch im Sommer 2014!
Partner
Comitato Provinciale Arcigay Il Cassero Bologna (Italien)
Association Colega Almeria (Spanien)
Gefördert wurde diese Jugendbegegnung durch JUGEND IN AKTION das Förderprogramm der Europäischen Union für alle jungen Menschen.